Gefahr „Gebären“

„In der heutigen Zeit, die sich selbst für postideologisch erklärt, ist die Ideologie mehr denn je ein Kampfplatz, auf dem unter anderem um Aneignung […] gerungen wird.“ Die Richtigkeit dieser Feststellung von Slavoj Žižek bestätigt sich derzeit in Form der Existenzkrise, der die Hebammen in Deutschland ausgesetzt sind.
Sie finden keine Haftpflichtversicherer mehr und können deshalb in absehbarer Zeit keine Geburtshilfe außerhalb der Kliniken mehr leisten.
Ideologien sind meist gut gekleidet („Freiheit“, „Sicherheit“) und das eleganteste, weil nicht greifbare Tarnhemd, ist das der ökonomischen Vernunft. So ist es denn auch der ökonomische Hebel, über den die Hebammen de facto ein Berufsverbot ereilt.
Welches Argument gibt es denn auch gegen „zu teuer“? „Zu teuer“ – das ist ja kein Angriff, das ist nur einfach „zu teuer“. Das meint niemanden persönlich, jeder kann gern tun, was er will (Freiheit!) – aber bitte „eigenverantwortlich“.
„Eigenverantwortlich“ ist ein sehr beliebtes Wort bei allen, die gut dastehen wollen, während sie der lebendigen Vielfalt der Mitmenschen die Solidarität entziehen und sich vor ihrer gesellschaftlichen Verantwortung drücken. Das funktioniert, indem unsere Gesellschaft sich überall mit Apparaten umgibt: technischer, bürokratischer und eben auch: klinischer Art. Immer in der verzweifelten Hoffnung, Konflikte, Leiden, zu viel Nähe an diese Apparate abgeben zu können und selbst davon befreit zu sein.
So geht es beim schleichenden Berufsverbot für die Hebammen denn auch noch um weitreichendere Themen – nicht nur um „zu teuer“.
Es ist auch das Thema der Überwachung und der – möglichst totalen – Kontrolle. Es geht um das Auflösen menschlicher Zusammenhänge und Regungen in eine Gesellschaft, die sich wie ein Betrieb, eine Maschinerie organisiert.
Anders ist es nicht zu erklären, dass Atomkraftwerke, die im Unglücksfall weit schädlicher für Menschen sind als es Hebammen je sein könnten, anscheinend kein Problem mit ihrem Versicherungsschutz haben und weiterhin betrieben werden können: sie werden schließlich technisch überwacht (Sicherheit!).
Geburtshilfe auf nicht-technischer Basis hingegen soll in unserer Gesellschaft verhindert werden und außerklinische Geburtshilfe erst recht. Dass gerade die Abwesenheit der Stressfaktoren „Klinik“ und „Apparat“ zum Gelingen einer Geburt entscheidend beitragen können, wird von wissenschaftlicher Seite geradezu rituell unterschlagen.
Der Unterschied zwischen den Risiken des Atomkraft-GAUs (oder auch denen des motorisierten Straßenverkehrs) und der Geburt eines Menschen ist dabei entscheidend: die technologischen Risiken sind menschengemacht und deshalb werden sie akzeptiert.
Frauen, die sich außerklinisch auf den restlos unmodernen Uraltprozess „Geburt“ einlassen, demonstrieren hingegen etwas völlig anderes, was ihnen fälschlicherweise gern als „Romantik“, „Abenteuerlust“ oder „Naivität“ ausgelegt wird: Die Möglichkeit, sich außerhalb eines Apparates zu bewegen und ein existenzielles – auch gefährliches – Ereignis menschlich zu begleiten anstatt es „machen“ zu wollen.
Wer aber auf diese tatsächliche Eigenverantwortlichkeit pocht, wird mit gesellschaftlicher Entsolidarisierung bestraft.

Im apparateartigen Rahmen unserer Gesellschaft bleibt die Reflexion darüber aus – weil das den Betrieb stört. Aber auch weil es erleichtert, einem System anzugehören, das menschliche Verantwortung auflöst in Zuständigkeiten. Das ewige ökonomische Argument ersetzt das Nachdenken-über und wer immer davon getroffen wird, kann dem ewigen „zu teuer“ nicht viel entgegensetzen.
Und „zu-teuer“ erspart auch direkte Verbote, die die als „Sicherheitdenken“ getarnte Ideologie der totalen Kontrolle zeigen würden, wie sie ist: irrational, unwissenschaftlich und lebensfeindlich.