QR-Codes als solche sind durchaus schmuck anzusehen und sie finden sich inzwischen an zahlreichen Orten. Ohne Smartphone (mindestens!) geben sie keine Information preis – sie benötigen ein technisches Medium zum Verständnis.
Neuerdings tauchen sie auch auf Grabsteinen auf, wo sie als „evolutionäre Entwicklung der Sepuralkultur“ gefeiert werden und Grabsteine, die mit ihnen versehen sind, gewinnen dafür Preise. Ursprünglich wurden sie in Japan zur Lenkung von Warenströmen der Automobilindustrie entwickelt – an Gräbern lenken sie nun die Ströme des Gedenkens an Menschen in extremer Form der Immobilität.
Liest man den QR-Code am Grab aus, sind Informationen über den Verstorbenen oder Trauerseiten Hinterbliebener verfügbar.
Im alltäglichen Leben sieht man kaum Menschen, die noch über längere Zeiträume hinweg offen-sichtlich Trauer tragen um den erlittenen Verlust und ihren Schmerz sichtbar – und damit nachvollziehbar – zu machen; Hinterbliebene werden nicht selten nach ein paar Wochen aufgefordert, sich doch allmählich mal wieder zusammenzureißen.
Digitale Trauer stört nicht die reibungslosen Abläufe alltäglicher Geschäftigkeit. Man muss sie nicht zur Kenntnis nehmen wie den schmerzerfüllten Mitmensch der an der Supermarktkasse in Tränen ausbricht, weil der Partner sonst den Einkaufswagen eingeräumt hat.
Digital ist man von der Erfordernis befreit, Mitgefühl zu zeigen, geduldig zu sein und eigene Angst und Sterblichkeit zu spüren. Und wenn man vom Grabstein aus Seiten rufen kann, die den lebendigen Menschen abbilden – dann ist er doch noch irgendwo und nicht einfach nur tot. Man sieht ihn doch, guck!
Indem die Trauer medial vermittelt wird, verliert sie etwas von der unmittelbaren Wucht mit der sie das individuelle Leben der Hinterbliebenen füllt. Die Gestaltung einer Trauer- oder Gedenkseite, die Transformation von Erinnerungen zu Information ist kein unmittelbares Empfinden mehr. Sie sind mediale Aufbereitung, redaktionelle Arbeit. Das extreme Empfinden wird aus dem persönlichen Erleben verschoben, ausgelagert auf einen Server.
Die ausgelagerte Emotion kann aber keine Entwicklung durchlaufen. Nullen und Einsen altern und vergehen nicht, sie konservieren. Auch Schmerz. Besucht man eine Gedenkseite nach längerer Zeit wieder, sind die einmal eingestellten Inhalte unverändert, alles wie am ersten Tag – es sei denn, es wird nach bewusster Entscheidung gelöscht. Allmähliches Verblassen von Erinnerungen gibt es digital nicht.
Gedenkseiten über Verstorbene setzen deren Existenz fort – allerdings ohne deren Autonomie. Sie werden zum Geschöpf derer, die die Seite verwalten. Diese präsentieren ein Bild, das sie von dem verstorbenen Menschen haben und sie bestimmen nun seine Erscheinung. Statt ein Leben zu führen, zu dem Vergehen und Vergessen gehören, wird ein Verstorbener zur Funktion für die Zurückgebliebenen. Die Möglichkeit, sich unter Schmerzen aber allmählich von einem Menschen zu lösen der schlicht nicht mehr da ist, wird langfristig durch das digital ausgelagerte Erinnern verbaut. Es kann kein Abschied genommen werden, kein Entwicklungsprozess ist möglich. Wann nimmt man eine Trauerseite vom Netz? Niemals, der Verlust ist ja ewig. Aber wenn sie im Netz bleibt – besteht dann nicht auch die Trauer unverändert fort?
Welche Erinnerungen bleiben und für das Weiterleben benötigt werden, entscheidet sich nicht mehr in den beteiligten Seelen. Es obliegt letztlich dem Provider, den Seiten-Administratoren und es lenkt den Blick vom Grab weg. Das ist vielleicht das Wichtigste.
http://www.grabmal.info/
http://www.natursteinonline.de/grabmal_ted/grabmal_ted.html